Freitag, 31. Oktober 2014

Wenn nur "weiß" gleich "rein" ist: Bleaching Addiction

Nicht nur Skin Picker sind so sehr auf ihre Haut fixiert, dass die geistige Beschäftigung damit große Teile des Tages einnimmt. Während bei Skin Pickern das Schönheitsideal einer glatten, ebenmäßigen Haut zur fixen Idee wird und die eigene Haut demgegenüber als beschädigt und unrein wahrgenommen wird – ob nun real oder eingebildet –, leiden viele Dunkelhäutige darunter, dass sie ihre Haut für zu dunkel halten. Obwohl jeder gesund denkende Mensch sagen würde, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe genauso schön sind wie solche mit heller Haut und dass gerade die Vielfalt von unterschiedlichen Farbtönen auf der Welt zur Schönheit beiträgt: Das normative Ideal ist nach wie vor die helle Haut. 



Der US-amerikanische Musiker und Spoken Word Artist Saul Williams ist dafür bekannt, Dinge auszusprechen, mit denen andere hinter dem Berg halten. Mit seinen Songs sorgt er immer wieder für Aufregung. In dem Rapsong „Black Stacey“ gibt er zu, dass er in der Schule darunter litt, wegen seiner Hautfarbe gehänselt zu werden. „My complexion had me stuck in an emotional rut“, reimt er. Seine Hautfarbe wird zu einer Obsession, die ihn nicht mehr loslässt: „They say "You're too black man", I think I'm too black/ Mom, do you think I'm too black?, I think I'm too black/I think I'm too black/ I think I'm too black/ You're black, you're black, you're black, you're black.“ Da knickt er ein: „I used to use bleaching cream“, bekennt Williams. „I dreamt of being white and complimented by you/But the only shiny black thing that you liked was my shoes.“ Radikale Ehrlichkeit. Ein beschämendes Eingeständnis im doppelten Sinne: für einen Dunkelhäutigen, dass er so sein wollte wie die früheren Slave Masters, die Herrschenden. Und für einen Mann, dass er Kosmetikprodukte benutzt, was in Macho-Kulturen nur Frauen zugestanden wird und ihn daher in die Nähe der Homosexualität rückt – gerade im Hiphop oft noch immer ein No-Go. 

Dencia vor und nach dem Benutzen einer von ihr propagierten Bleichcreme. Bild: Bella Naija
Diese Bleichprodukte („bleaching cream“) sind ein Renner in Afrika und Indien, obwohl ihr Verkauf in einigen Ländern verboten ist. Auch in Deutschland kann man Bleaching Creams verschiedener Marken in Afro-Shops kaufen. Dabei stehen viele dieser Produkte im Verdacht, Hautkrebs zu erzeugen: Sie entfernen das Melanin aus der Haut, das vor UV-Strahlen schützt. Weitere mit Hautbleichern in Verbindung gebrachte Nebenwirkungen sind Nierenversagen, Leberschäden, Ekzeme, Merkurvergiftung. Der indische Arzt Dr. Nitin Walia sagt:Ungefähr 30 Prozent der Langzeitnutzer berichten von schädlichen Nebenwirkungen.“


Immer wieder schlägt die Diskussion um Weißmacher hohe Wellen, vor allem wenn schwarze Frauen dafür Werbung machen. So wie Ende 2013/Anfang 2014 die westafrikanische Popsängerin Dencia (aus Nigeria/Kamerun). Sie warb für eine Bleichcreme namensWhitenicious“. Der Produktname ist eine Wortzusammensetzung aus „whiten“ (weiß machen) und „delicious“ (köstlich). 24 Stunden nach dem Beginn ihrer Werbekampagne waren alle Vorräte der Creme ausverkauft, kurz darauf setzte aber auch schon massive Kritik in den Medien ein. Zwar warb Dencia mit dem WerbespruchSay goodbye to dark spots forever” - die Creme sollte also angeblich nur dazu dienen, dunkle Pigmentflecken aufzuhellen. Doch Dencia präsentierte sich dazu knapp bekleidet mit einer Haut, die deutlich heller war als noch einige Monate zuvor. So ging es im Werbetext um einzelne Flecken, im Bild um den ganzen Körper.
 
In einem Interview im britischen TV-Sender Channel 4 wurde Dencia mit der Kritik konfrontiert, sie gebe in ihrer Werbekampagne ein schlechtes Vorbild für schwarze Mädchen ab und ihr Verhalten würde dazu führen, dass sich junge Mädchen für ihre dunkle Haut hassen. Sie antwortete: „Wenn sie glauben, ihr ganzer Körper wäre ein dunkler Fleck – ist in Ordnung! Weil: So empfinde ich das nicht.“ Danach gefragt, was „weiß“ für sie bedeutet, sagt Dencia: „Weiß heißt rein, nicht notwendigerweise auf die Haut bezogen, sondern ganz allgemein.“ Die ganze Haut tagtäglich mit aggressiven Kosmetika einzureiben ist für sie kein Problem: Das sei doch so, als würde man sich die Haare blondieren.
 


Natürlich lässt sich die Situation von Dunkelhäutigen nicht mit der von Skin-pickern gleichsetzen. Es gibt viele Unterschiede. Beispielsweise, dass Dunkelhäutige ihr Leben lang, auch schon als kleine Kinder, unter Rassismus (der weißen Norm) leiden, während Skin-picker meistens erst in der Pubertät ein Problem mit ihrer Haut bekommen. Und während bei Schwarzen der Zustand desAndersseins“, des Nichterfüllens der weißen Norm, ein Leben lang anhält, haben Skin-picker ja meist nur ein paar Jahre lang Akne. Was danach für ein unebenes Hautbild sorgt, ist meistens selbst-verursacht. Aber gerade das wird ihnen auch häufig vorgeworfen.


Die jahrelange, exzessive Anwendung von Bleichcremes wird in den USA auch „Bleaching addiction“ (Aufhellungssucht) genannt. Paradoxerweise geben andererseits hellhäutige Menschen viel Geld dafür aus, dunkler zu werden. Sie beschmieren sich mit Selbstbräunern oder gehen ständig ins Sonnenstudio und riskieren dabei ebenfalls Hautkrebs. Ins Krankhafte gesteigert, hat dieses Verhalten seit einigen Jahren den Namen „Tanorexie“ – eine Zusammensetzung vonAnorexie“ (Magersucht) und „tanning“ (bräunen).


Doch immer geht es im Kern darum, dass man glaubt, das eigene Sein – das, was man nicht umhin kann, nach außen hin von sich, seinem Körper zu zeigen – sei nicht in Ordnung. Ob Farbe oder Hautunebenheiten. Eine Reaktion darauf ist Bleaching Cream, eine andere Skin Picking. Der Versuch, sich dem Ideal anzupassen. Denn so fängt Skin Picking oft an: in dem irrigen Glauben, man würde seiner Haut durch die Manipulationen helfen, glatter zu werden. Den Pickel ausdrücken, bevor er richtig dick und auffällig wird. Mitesser ausdrücken, damit die Haut glatter erscheint. Am Ende wird nicht nur jeder „echte“, noch so kleine Makel bearbeitet, sondern auch ganz gesunde Poren, die unter dem sensiblen Abtasten der Finger irgendwie „hervorstehen“. 
Skin Picker vertrauen nicht darauf, dass die Natur es schon richtig macht, sondern sehen ihre eigene Natur – die diese Hautunreinheiten hervorbringt – als das eigentliche Problem. Da muss man nachhelfen, damit die Haut die Talg-und Eitereinschlüsse schneller freigibt. Mit dem Finger, aber auch mitInstrumenten wie Nadeln oder Pinzetten. Und ebenso sehen Dunkelhäutige, die Bleaching Cream benutzen, ihre eigene Natur als das Problem an, das es zu beseitigen gilt – mit Hilfe von Kosmetika. Kosmetika, die auf lange Sicht dazu führen können, dass die eigene Haut erkrankt.


Quellen:

- http://www.dailymail.co.uk/indiahome/indianews/article-2384456/Skin-whitening-creams-cause-long-term-damage-doctors-warn.html#ixzz3B7orJrW5 
- https://www.youtube.com/watch?v=8PpdXOHL5Wc

Permalink dieses Blogposts:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen