Dienstag, 30. September 2014

Neue "diagnostische Heimat" ermöglicht Forschung

„Das ist keine Pathologisierung“, sagt Dr. Bernhard Osen, Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt. „Es ist ein großer Fortschritt: Wir können die Dinge jetzt klarer beim Namen nennen.“ Diese Antwort galt einem Artikel, der vor anderthalb Jahren erschienen war: Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte massive Kritik an dem gerade erschienen „DSM-5“ geübt, dem amerikanischen Diagnose- und Klassifizierungssystem für psychische Krankheiten. Darin tauchen viele Störungsbilder erstmals auf. „Normale werden mit Hilfe des DSM zu psychisch Kranken erklärt“, so der Tenor des Spiegel-Artikels. Zu den neu aufgenommenen Störungsbildern zählt auch Skin-picking, das im Jargon der American Psychiatric Association „Excoriation Disorder“ heißt. Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen (DGZ) am 26. und 27. September, wo auch Osen sprach, nahmen die Zwangsspektrumsstörungen einen großen Teil der Fachvorträge ein. Grund dafür ist, dass sie jetzt auch verstärkt im DSM-5 auftauchen.


Dr. Bernhard Osen, Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt - Bild: Klinik

Die Zwangsstörungen, früher in der Kategorie Angststörungen subsumiert, bilden heute eine eigene Kategorie namens
Oppressive-Compulsive and Related (zu deutsch: Zwangsstörungen und verwandte). Zu diesen „Verwandten“ gehört auch Dermatillomanie (Skin Picking), das erstmals erwähnt wird. Trichotillomanie wurde von den Impulskontrollstörungen in die Zwangsspektrumsstörungen umgruppiert und befindet sich nun in der gleichen Kategorie wie Skin Picking. Eine weitere sehr ähnliche Erkrankung, die Körperdysmorphe Störung, war früher unter somatoformen Störungen kategorisiert. Sie zählt nun - ebenso wie zwanghaftes Horten - zu den Zwangsspektrumsstörungen.

„Die DGZ sollte die Tür weit aufmachen für die Zwangsspektrumsstörungen“, fordert die DGZ-Vorsitzende Antonia Peters. Das war der Hamburgerin schon immer ein Anliegen, da sie seit ihrer Kindheit von Trichotillomanie betroffen ist. Schon vor 14 Jahren habe sie sich von der Klinik in Bad Bramstedt eine therapeutische Behandlung wegen Trichotillomanie gewünscht, erinnert sich Peters. Doch damals war das Krankenhaus auf Zwangserkrankungen spezialisiert. ¨Der damalige Chefarzt sagte zu mir 'Ich glaube, Sie sind hier nicht richtig'“, erinnert sich Ptteters. „Aber ich war aber hartnäckig - schon damals.“

Im Oktober oder November - anderthalb Jahre nach Veröffentlichung - soll die deutsche Übersetzung des DSM-5 erscheinen. Arbeitsgruppen sitzen schon an der Überarbeitung des Diagnosemanuals ICD 10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Vieles spreche dafür, dass sich die WHO an dem amerikanischen Modell orientiert, sagt Chefarzt Dr. Osen. Schon jetzt steige die Zahl der Studien und Publikationen über Zwangsspektrumsstörungen gewaltig. Denn sobald eine Krankheit eine „diagnostische Heimat“ gefunden hat, sprich, in eine Diagnosekategorie aufgenommen wurde, ist es sehr viel leichter, Forschungsgelder zu beantragen.

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