Montag, 29. Dezember 2014

"Ich bin ein Mensch, kein Versuchskaninchen!"

Selbst Angela Hartlin, die exponierteste Skin-Picking-Aktivistin weltweit, sucht noch immer nach einem kompetenten Therapeuten. In einem Blog berichtete die Kanadierin vor kurzem, dass sie nach acht Jahren ohne Therapie wieder ihren Mut zusammengenomen und einen Versuch unternommen hat, mit therapeutischer Hilfe ihr Skin Picking doch noch zu überwinden.


Angela Hartlin. Bild: http://bit.ly/1vmNM0K

Doch offenbar war der Fachmann (oder die Fachfrau) nicht bereit, sich zum Thema Skin Picking fortzubilden. Dabei gibt es in den USA und Kanada ein sogar recht kompaktes und kostengünstiges Fortbildungsangebot. Deshalb brach Angela die Therapie nach drei Sitzungen ab. "Ich bin ein Mensch, kein Versuchskaninchen!", beharrt sie.

Mehr Infos dazu gibt es hier: http://blog.trich.org/2014/12/23/angela-broke-up-with-her-therapist-heres-why-you-should-care/

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http://meine-haut.blogspot.com/2014/12/ich-bin-kein-mensch-kein.html

Montag, 8. Dezember 2014

Skin Picking Newsletter Dezember 2014

Selbsthilfegruppe Skin Picking Köln, Newsletter #53, Dezember 2014

Hallo zusammen! :)

Inhalt:
  1. Unser nächstes Treffen
  2. Aufruf: Buchprojekt
  3. Rückblick: "Ihr seid mutig" – unsere SHG bei einer Fortbildung für Medizinische Fachangestellte
  4. Pläne für kommendes Jahr – Ideensammlung!
  5. Weitere Treff-Termine
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  1. Unser nächstes Treffen ist am
Montag, 15. Dezember, 19 Uhr
im "gesundheitsladen", Venloer Straße 46, Erdgeschoss.

Der Treffpunkt ist leicht mit den Öffentlichen zu erreichen: U-Bahn-Haltestelle "Hans-Böckler-Platz" und S-Bahn-Haltestelle "Köln West", dann nur 1-2 Minuten Fußweg.

Eingeladen sind wie immer alle, die an Dermatillomanie oder Trichotillomanie leiden! :)
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  1. Aufruf: Buchprojekt!
Ein paar von euch wissen es schon, aber jetzt ist es an der Zeit, das Ganze an eine etwas größere Glocke zu hängen: Jawoll, wir planen ein Buch über Skin Picking – von Betroffenen für Betroffene! Herausgeberin/Autorin bin ich, Co-Autorin Barbara Schubert (einige kennen sie sicherlich schon als Therapeutin).

Ein wichtiger Teil des Buches sind Geschichten von Betroffenen – über ihr Leben mit Skin Picking. Vielleicht kennt ihr "Project Dermatillomania – the Stories Behind Our Scars" (siehe Link: http://www.goodreads.com/book/show/20959902-project-dermatillomania). Das Buch ist vor ein paar Monaten erschienen. Wir wollen auch, wie in diesem Buch, Betroffene sprechen lassen. Nicht nur durch Worte, sondern auch durch Bilder!

Buchtitel "The Stories Behind Our Scars" Bild: PR
Daher hier ein zweifacher Aufruf:
  • Wir haben schon viele Geschichten von Menschen zwischen 25 und 50. Was wir noch brauchen, ist ein Beitrag von einem jungen Menschen zwischen 15 und 20. Außerdem sind Geschichten von Männern hochwillkommen, da bisher unterrepräsentiert!
  • Wir sind auf der Suche nach Bildern, die einen kreativen Umgang mit Skin-Picking zeigen. Das dürfen ruhig Fotos sein, auf denen Pickel zu sehen sind – wenn sie in einen Zusammenhang gebracht werden. Als Beispiel und Inspiration verlinke ich hier Lilis Beiträge auf meiner Webseite: http://www.skin-picking.de/%C3%BCber-skin-picking/fotos/
Sämtliche Beiträge werden selbstverständlich auf Wunsch anonymisiert! Wir brauchen nur ein Pseudonym der/des Einsendenden sowie Infos zu seinem/ihrem Alter und ungefähren Wohnort.

Bitte schicke deine Geschichte/ deine Bilder an diese Adresse: dermatillomanie@gmx.de Das ist auch die Adresse, falls du dazu noch Fragen hast.
Vielen Dank! :)
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  1. Rückblick: "Ihr seid mutig" - unsere Selbsthilfegruppe bei einer Fortbildung für Medizinische Fachangestellte
Nicht nur der Arzt kann helfen – auch medizinische Fachangestellte (MFA – früher "Sprechstundenhilfen" genannt) können ein offenes Ohr für Patienten haben. Und vielleicht haben sie sogar Gelegenheit, Patienten in vertraulichen Situationen auf das Angebot von Selbsthilfegruppen hinzuweisen.
Das ist die Idee einer Fortbildungsveranstaltung für MFA, die in der Selbsthilfekontaktstelle Köln * Mitte November stattfand. Hier hatten Selbsthilfegruppen Gelegenheit, sich medizinischem Fachpersonal vorzustellen – die nutzte ich natürlich gerne! Mit dabei war ein sehr netter Kollege von der Kölner Selbsthilfegruppe "Soziale Ängste".
Zunächst wurde erklärt, was psychische Störungen sind. Dann stellte Claudia Daubenbüchel von der Selbsthilfe-Kontaktstelle mit Hilfe eines Interviews mit uns dar, was Selbsthilfe ist und wie sie konkret abläuft. Keine von den Fachangestellten kannte Skin Picking, viele waren erstaunt, dass es so eine Störung gibt. Deshalb erklärte ich es genauer. Jede MFA bekam außerdem einen Flyer unserer Selbsthilfegruppe. Da es über 30 Teilnehmerinnen waren, haben wir hier eine enorme Aufklärungsquote!
Es gab aber auch durchaus kritische Fragen von den MFA, zum Beispiel fragte eine, die in einer psychiatrischen Praxis arbeitet: "Wie soll ich den Patienten eine Selbsthilfegruppe schmackhaft machen, wenn sie noch nicht einmal das Angebot annehmen, in Gruppentherapie zu gehen?" Ich antwortete, dass es bei Selbsthilfegruppen keine Wartelisten gibt, dass sich Betroffene hier unter Gleichen befinden und dass sie oft zum ersten Mal in ihrem Leben mit Menschen sprechen, die ihre Situation völlig verstehen können. Außerdem können sie hier selber aktiv werden und so aus ihrer Opferrolle herauskommen.
Zum Schluss dankten uns die MFA, dass wir den Mut hatten, so offen über unsere psychische Störung zu reden.
Im Januar wird die Veranstaltung mit anderen Teilnehmern wiederholt, ich werde dann wohl noch
mal hingehen und über unsere SHG aufklären. Es sei denn, jemand anders möchte – ich geb den Job auch gerne ab! Bei Interesse bitte unter dermatillomanie@gmx.de melden – die Veranstaltung ist am 28. Januar nachmittags 15 bis 18 Uhr.
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  1. Pläne fürs kommende Jahr – Ideensammlung!
Es wird wieder Zeit, finanzielle Förderung für unsere Selbsthilfegruppe zu beantragen. Wenn ihr Wünsche und Ideen habt, was wir im kommenden Jahr Außergewöhnliches machen könnten, meldet euch bitte! Ein Vorhaben ist schon in Planung: Eine Hypnotherapeutin wird uns besuchen und berichten, wie sie mit Hypnose gegen Skin Picking arbeitet.
Weitere Ideen sind herzlich willkommen! :)
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Weitere Treff-Termine zum Abspeichern:
19. Januar, 16. Februar, 16. März
... immer am dritten Montag eines Monats, immer 19 Uhr
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So, das war's schon wieder!
Eine schöne Weihnachtszeit wünscht euch
Ingrid

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Freitag, 21. November 2014

Eine Barbie mit Akne - eben ganz normal schön!

Mit dieser Barbie hätte ich als Kind viel lieber gespielt als mit der dürren Bohnenstange von Mattel: Jetzt gibt es eine der Barbie nachempfundene Puppe, die - und das ist der große Unterschied! - die Proportionen eines normalen 19-jährigen Teenagers hat.


Mit Akne - aber genauso liebenswert! Bild: Nickolay Lamm
Entwickelt hat sie ein Puppenkünstler namens Nickolay Lamm, weshalb seine Kreation auch "Lammily" heißt. Die Botschaft hinter dem Konzept: "average is beautiful", also durchschnittliches Aussehen ist schön. Wenn man sich Lammily im Vergleich zur Barbie in Lebensgröße vorstellen würde, hätte sie geschätzte 20 Kilo mehr als ihr magersucht-verdächtiges Vorbild, dabei wäre sie ebenfalls geschätzte 20 Zentimeter kleiner. Errechnet hat Lamm die Proportionen anhand statistischer Daten des US-Gesundheitsministeriums. Dahinter steckt offenbar die Überzeugung, dass Barbies nie erreichbares Schönheitsideal Kindern schadet, weil sie auch so makellos aussehen wollen.


Vergleich zwischen Barbie und Lammily. Bilder: Nickolay Lamm
Lamm geht genau in die andere Richtung: Um den realistischen Eindruck perfekt zu machen, liefert er auf Wunsch gleich Accessoires mit, zum Beispiel einen Aufkleber fürs Gesicht, der Akne darstellt! Für die Oberschenkel gibt's Cellulite-Aufkleber, für den Bauch Dehnungsstreifen. Tattoos und auch Wundnarben sind vorrätig. Letzteres veranlasste die Schweizer Boulevardzeitung "20 Minuten" zu der unschönen Schlagzeile "Narbie statt Barbie".
Ab Ende November kommen die ersten Puppen in die Läden. Lemm hat das Projekt per Crowdfunding möglich gemacht. Über 19.000-mal wurde Lemmily nach seinen Angaben schon vorbestellt.
Mal sehen, wie die realistischere Puppe bei den Kindern ankommt - und ob Hungerhaken-Barbie dann überhaupt noch eine Chance hat!

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http://meine-haut.blogspot.com/2014/11/eine-barbie-mit-akne-eben-ganz-normal.html

Montag, 10. November 2014

Skin Picking Newsletter November 2014


Selbsthilfegruppe Skin Picking, Newsletter November 2014


Hallo zusammen! :)

Inhalt:

  1.  Unser nächstes Treffen 
  2. Angehörige willkommen (mit Ankündigung)!  
  3. Thema nächstes Mal: Meditations-CD 
  4. Yeah! Mehr als 100 Likes für “In meiner Haut“!  
  5. Weitere Treff-Termine 
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1. Das nächste Treffen der Selbsthilfegruppe ist am

Montag, 17. November

19 Uhr

… im „gesundheitsladen Köln“, Venloer Straße 46, Erdgeschoss. Leicht erreichbar mit den öffentlichen Verkehrsmitteln: S-Bahn-Haltestelle Köln-West, U-Bahn-Haltestelle Hans-Böckler-Platz.

Eingeladen sind wie immer alle von Skin Picking und Trichotillomanie Betroffenen.

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2. Angehörige willkommen (mit Anmeldung)!

Übrigens: Wenn ihr eure/n Lebenspartner/in oder eine/n Angehörigen zum Gruppentreffen mitbringen möchtet, zum Beispiel als Rückenstärkung, ist das kein Problem. Ich bitte dann nur um eine kurze Ankündigung an diese Mailadresse: dermatillomanie@gmx.de.

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3. Thema nächstes Mal: Meditations-CD

Zum nächsten Gruppentreffen am 17. November bringe ich die Meditations-CD „Hautprobleme“ von Ruediger Dahlke mit. Dahlke ist einer der Päpste in Sachen Psychosomatik, also der Verbindung von körperlichen und seelischen Leiden. Von ihm ist beispielsweise das Buch "Krankheit als Chance". Dahlke hat auch eine Reihe von Meditations-CDs zu verschiedenen Themen herausgegeben, darunter Hautprobleme. 

Meditations-CD "Hautprobleme" von Ruediger Dahlke.
"Die Haut ist wie eine Landkarte der Seele. Auf ihr bildet sich nach außen ab, womit die Seele innen nicht mehr allein fertig werden kann", sagt Dahlke. Meditation soll als eine Art Anleitung zur Selbstheilung dienen. Ich schlage vor, wir hören uns die CD gemeinsam an – ich habe sie mir schon einmal (teilweise) angehört und fand sie eigentlich ganz passend für uns. Bin gespannt auf eure Rückmeldungen! :D

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4. Yeah! Unsere Facebook-Seite „In meiner Haut“ hat über 100 Likes!

Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht: Die Facebook-Seite „In meiner Haut“, die vor gut drei Monaten gestartet ist, hat inzwischen mehr als 100 Likes! J Jeder Nutzer, der diese Seite oder einen auf ihr geteilten Inhalt mit einem „gefällt mir“ markiert, trägt dazu bei, dass Skin Picking bekannter wird und dass Betroffene nicht mehr im Stillen leiden müssen.

Danke für eure Likes – und macht bitte weiter so ;) Hier geht’s zu der Seite:


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5. Weitere Treff-Termine – zum Abspeichern
Wir treffen uns immer am dritten Montag eines Monats um 19 Uhr. Unsere weiteren Treff-Termine sind:

15. Dezember, 19. Januar, 16. Februar

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So, das war’s schon wieder! Eine stressfreie Vorweihnachtszeit wünscht euch Ingrid
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Freitag, 31. Oktober 2014

Wenn nur "weiß" gleich "rein" ist: Bleaching Addiction

Nicht nur Skin Picker sind so sehr auf ihre Haut fixiert, dass die geistige Beschäftigung damit große Teile des Tages einnimmt. Während bei Skin Pickern das Schönheitsideal einer glatten, ebenmäßigen Haut zur fixen Idee wird und die eigene Haut demgegenüber als beschädigt und unrein wahrgenommen wird – ob nun real oder eingebildet –, leiden viele Dunkelhäutige darunter, dass sie ihre Haut für zu dunkel halten. Obwohl jeder gesund denkende Mensch sagen würde, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe genauso schön sind wie solche mit heller Haut und dass gerade die Vielfalt von unterschiedlichen Farbtönen auf der Welt zur Schönheit beiträgt: Das normative Ideal ist nach wie vor die helle Haut. 



Der US-amerikanische Musiker und Spoken Word Artist Saul Williams ist dafür bekannt, Dinge auszusprechen, mit denen andere hinter dem Berg halten. Mit seinen Songs sorgt er immer wieder für Aufregung. In dem Rapsong „Black Stacey“ gibt er zu, dass er in der Schule darunter litt, wegen seiner Hautfarbe gehänselt zu werden. „My complexion had me stuck in an emotional rut“, reimt er. Seine Hautfarbe wird zu einer Obsession, die ihn nicht mehr loslässt: „They say "You're too black man", I think I'm too black/ Mom, do you think I'm too black?, I think I'm too black/I think I'm too black/ I think I'm too black/ You're black, you're black, you're black, you're black.“ Da knickt er ein: „I used to use bleaching cream“, bekennt Williams. „I dreamt of being white and complimented by you/But the only shiny black thing that you liked was my shoes.“ Radikale Ehrlichkeit. Ein beschämendes Eingeständnis im doppelten Sinne: für einen Dunkelhäutigen, dass er so sein wollte wie die früheren Slave Masters, die Herrschenden. Und für einen Mann, dass er Kosmetikprodukte benutzt, was in Macho-Kulturen nur Frauen zugestanden wird und ihn daher in die Nähe der Homosexualität rückt – gerade im Hiphop oft noch immer ein No-Go. 

Dencia vor und nach dem Benutzen einer von ihr propagierten Bleichcreme. Bild: Bella Naija
Diese Bleichprodukte („bleaching cream“) sind ein Renner in Afrika und Indien, obwohl ihr Verkauf in einigen Ländern verboten ist. Auch in Deutschland kann man Bleaching Creams verschiedener Marken in Afro-Shops kaufen. Dabei stehen viele dieser Produkte im Verdacht, Hautkrebs zu erzeugen: Sie entfernen das Melanin aus der Haut, das vor UV-Strahlen schützt. Weitere mit Hautbleichern in Verbindung gebrachte Nebenwirkungen sind Nierenversagen, Leberschäden, Ekzeme, Merkurvergiftung. Der indische Arzt Dr. Nitin Walia sagt:Ungefähr 30 Prozent der Langzeitnutzer berichten von schädlichen Nebenwirkungen.“


Immer wieder schlägt die Diskussion um Weißmacher hohe Wellen, vor allem wenn schwarze Frauen dafür Werbung machen. So wie Ende 2013/Anfang 2014 die westafrikanische Popsängerin Dencia (aus Nigeria/Kamerun). Sie warb für eine Bleichcreme namensWhitenicious“. Der Produktname ist eine Wortzusammensetzung aus „whiten“ (weiß machen) und „delicious“ (köstlich). 24 Stunden nach dem Beginn ihrer Werbekampagne waren alle Vorräte der Creme ausverkauft, kurz darauf setzte aber auch schon massive Kritik in den Medien ein. Zwar warb Dencia mit dem WerbespruchSay goodbye to dark spots forever” - die Creme sollte also angeblich nur dazu dienen, dunkle Pigmentflecken aufzuhellen. Doch Dencia präsentierte sich dazu knapp bekleidet mit einer Haut, die deutlich heller war als noch einige Monate zuvor. So ging es im Werbetext um einzelne Flecken, im Bild um den ganzen Körper.
 
In einem Interview im britischen TV-Sender Channel 4 wurde Dencia mit der Kritik konfrontiert, sie gebe in ihrer Werbekampagne ein schlechtes Vorbild für schwarze Mädchen ab und ihr Verhalten würde dazu führen, dass sich junge Mädchen für ihre dunkle Haut hassen. Sie antwortete: „Wenn sie glauben, ihr ganzer Körper wäre ein dunkler Fleck – ist in Ordnung! Weil: So empfinde ich das nicht.“ Danach gefragt, was „weiß“ für sie bedeutet, sagt Dencia: „Weiß heißt rein, nicht notwendigerweise auf die Haut bezogen, sondern ganz allgemein.“ Die ganze Haut tagtäglich mit aggressiven Kosmetika einzureiben ist für sie kein Problem: Das sei doch so, als würde man sich die Haare blondieren.
 


Natürlich lässt sich die Situation von Dunkelhäutigen nicht mit der von Skin-pickern gleichsetzen. Es gibt viele Unterschiede. Beispielsweise, dass Dunkelhäutige ihr Leben lang, auch schon als kleine Kinder, unter Rassismus (der weißen Norm) leiden, während Skin-picker meistens erst in der Pubertät ein Problem mit ihrer Haut bekommen. Und während bei Schwarzen der Zustand desAndersseins“, des Nichterfüllens der weißen Norm, ein Leben lang anhält, haben Skin-picker ja meist nur ein paar Jahre lang Akne. Was danach für ein unebenes Hautbild sorgt, ist meistens selbst-verursacht. Aber gerade das wird ihnen auch häufig vorgeworfen.


Die jahrelange, exzessive Anwendung von Bleichcremes wird in den USA auch „Bleaching addiction“ (Aufhellungssucht) genannt. Paradoxerweise geben andererseits hellhäutige Menschen viel Geld dafür aus, dunkler zu werden. Sie beschmieren sich mit Selbstbräunern oder gehen ständig ins Sonnenstudio und riskieren dabei ebenfalls Hautkrebs. Ins Krankhafte gesteigert, hat dieses Verhalten seit einigen Jahren den Namen „Tanorexie“ – eine Zusammensetzung vonAnorexie“ (Magersucht) und „tanning“ (bräunen).


Doch immer geht es im Kern darum, dass man glaubt, das eigene Sein – das, was man nicht umhin kann, nach außen hin von sich, seinem Körper zu zeigen – sei nicht in Ordnung. Ob Farbe oder Hautunebenheiten. Eine Reaktion darauf ist Bleaching Cream, eine andere Skin Picking. Der Versuch, sich dem Ideal anzupassen. Denn so fängt Skin Picking oft an: in dem irrigen Glauben, man würde seiner Haut durch die Manipulationen helfen, glatter zu werden. Den Pickel ausdrücken, bevor er richtig dick und auffällig wird. Mitesser ausdrücken, damit die Haut glatter erscheint. Am Ende wird nicht nur jeder „echte“, noch so kleine Makel bearbeitet, sondern auch ganz gesunde Poren, die unter dem sensiblen Abtasten der Finger irgendwie „hervorstehen“. 
Skin Picker vertrauen nicht darauf, dass die Natur es schon richtig macht, sondern sehen ihre eigene Natur – die diese Hautunreinheiten hervorbringt – als das eigentliche Problem. Da muss man nachhelfen, damit die Haut die Talg-und Eitereinschlüsse schneller freigibt. Mit dem Finger, aber auch mitInstrumenten wie Nadeln oder Pinzetten. Und ebenso sehen Dunkelhäutige, die Bleaching Cream benutzen, ihre eigene Natur als das Problem an, das es zu beseitigen gilt – mit Hilfe von Kosmetika. Kosmetika, die auf lange Sicht dazu führen können, dass die eigene Haut erkrankt.


Quellen:

- http://www.dailymail.co.uk/indiahome/indianews/article-2384456/Skin-whitening-creams-cause-long-term-damage-doctors-warn.html#ixzz3B7orJrW5 
- https://www.youtube.com/watch?v=8PpdXOHL5Wc

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Freitag, 24. Oktober 2014

Kampf am Frühstückstisch - Beziehungen im Zwang

Jeden Morgen schon ein Kampf am Frühstückstisch, so sah die Beziehung zwischen Frank und Katrin S. noch vor einigen Jahren aus. "Hast du dir die Hände gewaschen?", fragt Katrin, als er ihr das Kaffeemilch-Kännchen reicht. Die Frage hat Frank schon befürchtet, denn Katrin ist zwangskrank, sie hat Wasch-und Kontrollzwänge. Jetzt wähnt sie, auf Franks ungewaschener Hand würden sich gefährliche Bakterien tummeln. Mit dem Griff zum Milchkännchen, so ihre Zwangsgedanken, hat er das Porzellan kontaminiert. "Ich halte das nicht mehr lange aus!", explodiert Frank. "Du weißt, dass ich mir die Hände gewaschen habe. Ich wasch mir die Hände immer!" Doch es nützt nichts: Schon wieder entspinnt sich ein aufwendiges Reinigungsritual, das letztlich dazu führt, dass beide zu spät zur Arbeit kommen.

Katrin und Frank spielen im Workshop einen Beziehungsstreit vor. Bild: Ingrid Bäumer

Diesen Frühstücksterror spielt das junge Paar einem 18-köpfigen Publikum vor. Wir befinden uns in der Schön Klinik Bad Bramstedt, wo die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen eine Fachtagung über Zwänge und Zwangsspektrumsstörungen abhält.** Frank und Katrin sind keine Therapeuten, sie waren jahrelang selbst betroffen: Katrin war lange zwangskrank, hat dies aber überwunden, unter anderem mit Hilfe einer stationären Therapie. Und Frank ist ihr langjähriger Partner, der trotz aller Belastungen immer zu ihr gehalten hat. Wie hält man es aus mit einem Menschen, der sich im Gefängnis des Zwangs befindet und der sogar seinen Partner in die verrücktesten "Zwangsvorschriften" einbezieht ?

Seit Skin Picking im DSM-5 erstmals als eigene Diagnose geführt wird, ist es eingegliedert in die Gruppe "Zwangserkrankungen und verwandte Störungen". Da ist es nur normal, Ähnlichkeiten zwischen Zwängen und Skin Picking zu suchen. Kann man Beziehungen zwischen "Gesunden" und Zwangskranken mit Beziehungen zwischen Gesunden und Skin Pickern vergleichen?

Sehr ähnlich sind sich Picker und Zwängler in dem, was sie sich von ihrem Partner wünschen, so ein Ergebnis des Seminars. "Keine dummen Sprüche", steht auf der langen Wunschliste. Und auch: "Verständnis, liebevoller Druck, keine Vorwürfe, geliebt werden, so wie ich bin."

Holger* hat magische Zwangsgedanken, die er auch ausagieren muss. So muss er aus Angst vor anderweitigen schlimmen Konsequenzen immer wieder einen Türrahmen berühren. Er hat mit seiner langjährigen Partnerin ausgemacht, dass sie ihm Zeit und Ruhe lässt, wenn sie sieht, dass er wieder zwängelt. "Sie erkennt an, dass es eine Krankheit ist", sagt Holger. "Wir haben beschlossen, dass sie mir bei meinen Zwängen nicht helfen kann - und ich will sie damit nicht belasten."

Doch wie soll diese saubere Abgrenzung funktionieren, wenn der Angehörige "nicht mitspielt"? Silke* berichtet von ihren Reinlichkeitszwängen: Was auf den Boden gefallen ist, das ist für sie kontaminiert. Sie kann es nicht mehr anfassen aus Angst, sich mit Krankheitserregern zu infizieren. Doch wenn ihr Freund sich morgens anzieht, lässt er achtlos den Schlafanzug auf den Boden fallen. "Schon oft habe ich ihm gesagt, er soll  ihn doch bitte über den Stuhl hängen", erzählt Silke. "Doch er ignoriert das einfach." Für die voll berufstätige Vierzigjährige heißt das: Noch mehr Zeit und Energie gehen drauf für aufwendige Dekontaminierungs-Rituale.

Natürlich, hakt Seminarleiterin Katrin ein, wünschen sich viele Betroffene, dass ihre Partner es ihnen nicht noch schwerer machen. Aber wenn die Partner einbezogen werden und sich dem Zwang gemäß verhalten, geben sie ihm damit neue Nahrung.

Ein Dilemma. Wo ist der Ausweg? Vielleicht dürfen die Wünsche, die ein Zwangskranker an den Partner richtet, nicht zu belastend sein, sollten aber zugleich eine große helfende Wirkung im Alltag haben. "Ziel sollte es sein, gemeinsame Absprachen zu treffen, mit denen sowohl der Betroffene als auch der Angehörige zufrieden ist", fasst Katrin zusammen. Wie bei diesem beispielhaften Deal: "Wenn du schon deine Bohrmaschine auf den Tisch legst, dann häng' doch bitte deinen Schlafanzug auf den Stuhl und schmeiß ihn nicht auf den Boden." 
Denkbar ist auch, eine Zwangshierarchie aufzustellen: Diese Zwänge sind so groß, dass ich noch nicht dagegen ankomme, doch an andere könnte ich mich mal herantrauen. "Offen miteinander reden, sich gegenseitig Freiräume geben, nicht auf verhärteten Standpunkten stehenbleiben", empfiehlt Katrin beiden Seiten. Und vor allem: "das Positive in der Beziehung nutzen, um den Zwang zu minimieren."

Was können Skin Picker aus diesem Seminar mitnehmen?


Bei allen Gemeinsamkeiten: Der größte Unterschied ist aus meiner Sicht, dass Skin Picker versuchen, ihr zwanghaftes Verhalten, das Bearbeiten der eigenen Haut, mit sich selbst auszumachen - schon allein aus Scham. Sie sind bemüht, die Folgen vor dem Partner zu verbergen, also die wunden, verletzten, geröteten Hautstellen. Während Zwangskranke manchmal auch eine strapazierte Haut haben, die beispielsweise wegen exzessiven Duschens extrem ausgetrocknet ist und in Placken abgezogen werden kann, ist es vor allem die Natur einiger Zwänge, die danach verlangt, sich auf das soziale Umfeld des Kranken auszudehnen. Zwar versuchen sie aus Scham, ihr Zwängeln vor dem Partner zu verbergen. Doch der Zwang ist oft wie ein hungriges Monster, das immer mehr Futter verlangt - und vom Partner ebenfalls ein ihm gemäßes Verhalten. Dagegen ziehen Skin Picker sich eher zurück - damit ihr Partner nicht die Folgen der Selbstmanipulation bemerkt. 

Doch nicht immer kann man sich schminken oder, wenn man nackt ist, das Licht ausmachen - so dass der Partner eines Skin Pickers vor allem damit leben muss, gelegentlich die Folgen der zwanghaften Haut-Manipulation zu sehen. Selten wird er Zeuge der tatsächlichen Handlung, und auch dann bleibt er Zuschauer, wird nicht aktiv einbezogen. Es sei denn, als Opfer des Knibbel-Drangs: Manche Picker haben das Verlangen, auch die Haut ihres Partners zu bearbeiten. Sie stürzen sich auf Pickel, Mitesser und alle anderen Unebenheiten beim Anderen. Das ist eine übergriffige Handlung, zumal wenn sich die Betroffenen vom ¨Nein¨ des Partners nicht abwimmeln lassen. Aber das sind eher seltene Fälle, während es bei der klassischen Zwangserkrankung die Norm zu sein scheint, dass der Partner in das Zwangssystem einbezogen wird.

 
Und so wäre es sicherlich auch keine Lösung für Picker, wenn sie ihr Knibbeln und Quetschen allein mit sich selbst ausmachen. Von ihrem Partner brauchen sie zumindest eine Gewissheit: dass sie auch mit ihren Macken geliebt werden. Und darin sind sie sich mit den Zwangskranken wieder einig. Oder, wie Holger es formuliert: "Was, wenn ich bis an mein Lebensende nicht von diesem Zwang freikomme? Das ist ganz wichtig zu klären: Kann mein Partner auch dann mit mir zusammen leben?"


* Name geändert
** Die Tagung fand vom 26. bis 27. September 2014 statt

Ich habe Katrin S. den Text zu lesen gegeben, da ich nur aus der Warte der von Skin Picking Betroffenen sprechen kann. Der Text enthält einige Aussagen über Zwänge, die nur meinen Eindruck wiedergeben, den ich aus dem Seminar mitgenommen habe. Darum hier Katrins Kommentar zu dem Text:

Es lässt sich so pauschal nicht sagen, dass die Partner/Angehörigen grundsätzlich mit ins Zwangssystem einbezogen werden. Auch hier gehören ja immer zwei dazu – der eine, der den Wunsch der Unterstützung äußert und derjenige, der diesem Wunsch nachkommt. Hier ist jeder für sein eigenes Handeln verantwortlich.

Eine lange Zeit machen auch Zwangsbetroffene alles mit sich allein aus, ebenfalls aus Scham. Schwierig wird es erst dann, wenn der Zwang zum einen nicht mehr zu verheimlichen ist (vergleichbar mit dem Sichtbarwerden von Skin Picking), zum Beispiel weil zu viele Zwänge auf einmal auftauchen oder der Zwang an sich zu stark ist, so dass er auch für andere offensichtlich wird.

Dann kann es sein, dass Partner/Angehörige um Unterstützung gebeten werden, weil es dem Betroffenen so scheint, als könne er das alles allein nicht mehr bewältigen. Die Unterstützung des Partners wird dann als Entlastung empfunden. Schwierig ist es ebenfalls, wenn gemeinsame Lebensbereiche betroffen sind – so beispielsweise, wenn Dinge des Anderen berührt werden und der Betroffene dieses nur schlecht oder gar nicht aushalten kann, weil sie für ihn gedanklich „kontaminiert“ sind.

Es gibt aber auch Zwänge, bei denen der Partner fast keine Unterstützung leisten kann, selbst, wenn er es wollte – so ist es beispielsweise bei Gedankenzwängen, bei denen keine sichtbare Handlung erfolgt, sondern allein die Zwangsgedanken gedanklich „bearbeitet“ werden müssen.
Ich weiß nicht, wie es beim Skin Picking ist – ist die eigentliche Handlung manchmal positiv besetzt (so wie es bei der Trichotillomanie manchmal ist)? Wenn es so ist, wäre dies wohl ein Unterscheidungsmerkmal: die Zwangsgedanken und -handlungen werden als quälend und belastend empfunden, das Gefühl der Erleichterung tritt erst ein, nachdem Gedanken und Handlungen durchgeführt und abgeschlossen wurden ... bis zum nächsten Zwangsgedanken.
Wichtig finde ich, dass beide Partner sich immer wieder ihrer eigenen Grenzen (auch Belastungsgrenzen) bewusst werden und diese auch ganz offen kommunizieren, um so zu gemeinsamen Absprachen zu gelangen. Du hast ja ebenfalls beschrieben, dass es eine klare Grenzüberschreitung ist, den Partner beim Picking einzubeziehen, selbst wenn dieser ein klares Nein geäußert hat. Das ist vergleichbar mit der Bitte eines Zwangsbetroffenen an seinen Partner, ihn zu unterstützen oder irgendetwas zu unterlassen. Der Partner kann dann dieser Bitte nachkommen, um dem Betroffenen zu helfen oder auch manchmal, um selbst eben „seine Ruhe zu haben.“ Wenn der Partner jedoch klare Grenzen setzt, wozu er bereit ist und wozu eben nicht, so wäre es für beide Seiten hilfreich, diese Grenzen zu respektieren. Obwohl gerade dies, wie wir ja im Workshop gesehen haben, nicht immer einfach ist.

Selbsthilfe ist grundsätzlich ein guter Berater. Eine Selbsthilfegruppe besuchen, sich mit Hilfe von Literatur schlau machen, eine eigene Zwangshierarchie aufstellen, Expositionen in Eigenregie oder im Rahmen einer ambulanten oder stationären Therapie) durchführen. 

Dienstag, 14. Oktober 2014

Pickel wegretuschiert: Lorde weist auf Bildmanipulation hin

"Denk daran: Makel sind okay", sagt Lorde. Die erst knapp 18 Jahre alte neuseeländische Musikerin hat mit ungewöhnlichen und eindringlichen Songs Erfolg. Und offenbar gelegentlich noch mit Akne zu kämpfen.

Bei einem Konzert im März wurden Fotos gemacht, auf denen unter der Schminkeschicht Pickel zu sehen sind. Doch das ist nicht das Bemerkenswerte für die Künstlerin, sondern die Tatsache, dass es Fotos vom gleichen Konzert gibt, auf denen ihre Haut makellos erscheint. Für sie der Beweis dafür, dass in mindestens einer Redaktionen Bilder retuschiert wurden, um die Musikerin hübscher erscheinen zu lassen. "Ich finde das seltsam", teilt sie über Twitter mit.

Auf Twitter weist Lorde darauf hin, dass Bilder retuschiert werden. Quelle: https://twitter.com/lordemusic
Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, dass Bilder "gephotosphopped" werden, wie es wegen des omnipäsenten Bildbearbeitungsprogrammes auch heißt. Doch ungewöhnlich, dass ein Star zu seinen Schönheitsfehlern steht. Und nicht nur Fans lieben sie dafür: Das Tweet wurde inzwischen fast 73.000 Mal geteilt. Lordes Reaktion ist eine wohltuende Abwechslung in dem täglichen Berg von retuschierten Bildern, die ein perfektes Frauenbild propagieren.

Nicht nur Teenager haben unter Pickeln zu leiden, sondern auch viele Frauen (und Männer), die zwanghaft ihre egene Haut verletzen - eine psychische Krankheit, die auch "Acné excoriée", also "Schürf-Akne" genannt wird. Andere Namen dafür sind Skin Picking und Dermatillomanie. Betroffen sind laut wissenschaftlichen Untersuchungen mehr als ein Prozent der Bevölkerung.

Auch in Lordes Texten schillert manchmal ein Körperbewusstsein durch, in dem sich viele Skin Picker wiederfinden. So heißt es in den ersten Zeilen von "Yellow Flicker Beat":

I'm a princess cut from marble, smoother than a storm
And the scars that mark my body, they're silver and gold
My blood is a flood of rubies, precious stones

 Dazu veröffentlichte sie dies Foto auf Twitter (hier ein Bildausschnitt):

Quelle: https://twitter.com/lordemusic

Text auf die Haut geschrieben - wie die Wunden und Narben, von denen sie singt und die ihren Körper "kennzeichnen". Statt sie nur als hässlich und beschämend anbzutun, bietet Lorde hier eine alternative Sichtweise an: Narben als etwas Wertvolles, Bedeutungsvolles. Das hat etwas Märchenhaftes, wie schon der Einstieg "I'm a princess ..." verdeutlicht. Doch es ist eine Alternative zu dem Schönheitsdiktat, das uns der Mainstream aufzwingt.

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http://meine-haut.blogspot.com/2014/10/pickel-weg-lorde-weist-auf.html

Dienstag, 30. September 2014

Neue "diagnostische Heimat" ermöglicht Forschung

„Das ist keine Pathologisierung“, sagt Dr. Bernhard Osen, Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt. „Es ist ein großer Fortschritt: Wir können die Dinge jetzt klarer beim Namen nennen.“ Diese Antwort galt einem Artikel, der vor anderthalb Jahren erschienen war: Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte massive Kritik an dem gerade erschienen „DSM-5“ geübt, dem amerikanischen Diagnose- und Klassifizierungssystem für psychische Krankheiten. Darin tauchen viele Störungsbilder erstmals auf. „Normale werden mit Hilfe des DSM zu psychisch Kranken erklärt“, so der Tenor des Spiegel-Artikels. Zu den neu aufgenommenen Störungsbildern zählt auch Skin-picking, das im Jargon der American Psychiatric Association „Excoriation Disorder“ heißt. Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen (DGZ) am 26. und 27. September, wo auch Osen sprach, nahmen die Zwangsspektrumsstörungen einen großen Teil der Fachvorträge ein. Grund dafür ist, dass sie jetzt auch verstärkt im DSM-5 auftauchen.


Dr. Bernhard Osen, Chefarzt der Schön Klinik Bad Bramstedt - Bild: Klinik

Die Zwangsstörungen, früher in der Kategorie Angststörungen subsumiert, bilden heute eine eigene Kategorie namens
Oppressive-Compulsive and Related (zu deutsch: Zwangsstörungen und verwandte). Zu diesen „Verwandten“ gehört auch Dermatillomanie (Skin Picking), das erstmals erwähnt wird. Trichotillomanie wurde von den Impulskontrollstörungen in die Zwangsspektrumsstörungen umgruppiert und befindet sich nun in der gleichen Kategorie wie Skin Picking. Eine weitere sehr ähnliche Erkrankung, die Körperdysmorphe Störung, war früher unter somatoformen Störungen kategorisiert. Sie zählt nun - ebenso wie zwanghaftes Horten - zu den Zwangsspektrumsstörungen.

„Die DGZ sollte die Tür weit aufmachen für die Zwangsspektrumsstörungen“, fordert die DGZ-Vorsitzende Antonia Peters. Das war der Hamburgerin schon immer ein Anliegen, da sie seit ihrer Kindheit von Trichotillomanie betroffen ist. Schon vor 14 Jahren habe sie sich von der Klinik in Bad Bramstedt eine therapeutische Behandlung wegen Trichotillomanie gewünscht, erinnert sich Peters. Doch damals war das Krankenhaus auf Zwangserkrankungen spezialisiert. ¨Der damalige Chefarzt sagte zu mir 'Ich glaube, Sie sind hier nicht richtig'“, erinnert sich Ptteters. „Aber ich war aber hartnäckig - schon damals.“

Im Oktober oder November - anderthalb Jahre nach Veröffentlichung - soll die deutsche Übersetzung des DSM-5 erscheinen. Arbeitsgruppen sitzen schon an der Überarbeitung des Diagnosemanuals ICD 10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Vieles spreche dafür, dass sich die WHO an dem amerikanischen Modell orientiert, sagt Chefarzt Dr. Osen. Schon jetzt steige die Zahl der Studien und Publikationen über Zwangsspektrumsstörungen gewaltig. Denn sobald eine Krankheit eine „diagnostische Heimat“ gefunden hat, sprich, in eine Diagnosekategorie aufgenommen wurde, ist es sehr viel leichter, Forschungsgelder zu beantragen.

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Gefährlich und oft mit Skin Picking verbunden: die Körperdysmorphe Störung

Eine Körperdysmorphe Störung bleibt häufig unerkannt, wird auch von ausgebildeten Psychologen oder Psychiatern nicht diagnostiziert. Das macht sie so gefährlich, berichtet Prof. Dr. Ulrike Buhlmann auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen in Bad Bramstedt: Bei einer Umfrage, die die Professorin durchführte, äußerten 30 Prozent der Betroffenen suizidale Gedanken. Das allein sei noch nicht so bemerkenswert, erklärte die Professorin, die einen Lehrstuhl für klinische Psychologie an der Uni Münster innehat. "Viel beunruhigender ist, dass 22 bis 25 Prozent der Befragten von Selbstmordversuchen berichten." Die Befürchtung: Werden Betroffene nicht richtig diagnostiziert und behandelt, gelingt es ihnen irgendwann, ihr tödliches Vorhaben umzusetzen.

Was ist eine Körperdysmorphe Störung? Früher wurde sie als Dysmorphophobie bezeichnet: also die Angst, missgebildet zu sein. Eine Körperdysmorphe Störung hat jemand, der völlig normal aussieht, aber fest daran glaubt, dass eines oder mehrere seiner Körperteile entstellt sind. Häufig geht es um die Nase, die Ohren und Arme, aber prinzipiell kann jeder Körperteil als hässlich empfunden werden. Es handelt sich dabei um einen eingebildeten Makel, den die Betroffenen als völlig real erleben.
Aus Scham und Angst vor den Reaktionen Anderer hätten manche Patienten schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr das Haus verlassen, berichtet Buhlmann. Um auch an diese Personen heranzukommen, sei die Befragung über das Internet gelaufen und beispielsweise in einschlägigen Foren angekündigt worden. Buhlmann: "Das Internet ist dafür das ideale Medium."

Besonders schwierig werde die Therapie, wenn Patienten zusätzlich ein "destruktives körperbezogenes Verhalten" wie Skin Picking an den Tag legen. Das sei häufig der Fall. So habe ein Patient, der unter einem eingebildeten Makel am Hals litt, "die Haut verletzt und sich am Hals eine massive Wunde gekratzt, die mehrmals chirurgisch behandelt werden musste."
Gut gegen Körperdysmorphe Störungen wirke Kognitive Verhaltenstherapie, vor allem die Spiegel-Exposition. Die Patientin/der Patient muss sich während der Exposition bei einer Therapiesitzung selbst im Spiegel betrachten. Doch statt sich auf den angeblichen Makel zu konzentrieren, soll er/sie die eigene Wahrnehmung neu trainieren: nicht auf das Detail zoomen, sondern lernen, sich im Ganzen betrachten.

Eignen sich Spiegel-Expositionen auch zur Behandlung von Skin Picking? So könnte man Betroffene auffordern, nicht nur ihre zerkratzte, wunde und gerötete Gesichtshaut zu betrachten, sondern auch die anderen, gesunden Stellen ihres Körper und ihrer Haut. So finden sie heraus, dass die bearbeiteten Stellen nicht ihren ganzen Körper ausmachen. „Expositionen werden im Einzelfall bereits gemacht“, sagt Dr. Susanne Fricke, Psychotherapeutin aus Hamburg. „Und das mit gutem Erfolg.“

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Entspannen mit Kunsttherapie

Die Gedanken fließen lassen, die Hände einfach machen lassen - Ton ist ein Material, das dazu einlädt, sagt Dorothee Heins, Kunsttherapeutin in der Schön Klinik Bad Bramstedt. Sie gibt einen Kunsttherapie-Workshop im Rahmen der Tagung "Von Macken bis Zwängen und darüber hinaus" der "Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen". Die Teilnehmer sind Doktoren, Psychotherapeuten und Zwangskranke. Sie wollen erfahren, wie Kunsttherapie funktioniert. Und sich anfühlt. 

Dorothee Heins stellt einen kiloschweren, kalten und festen Block grauen Ton für jeden Teilnehmer auf den Tisch. "Jetzt legen Sie einfach mal los, befühlen den Ton, bearbeiten ihn, wie Sie wollen - ohne festes Ziel, ohne etwas Bestimmtes zu formen." Die Teilnehmer schauen sich verunsichert an. Wie - keine Aufgabe, kein festes Ziel, auf das man hinarbeitet? Unschlüssig gehen die Hände zum Tonblock, tasten erst zögerlich, greifen dann kräftiger zu, kneten und ziehen. Eine Viertelstunde lang. 
 
Draufloskneten ohne festes Ziel - eine ungewohnte Sache. - Bild: Ingrid Bäumer

"Das war erstaunlich, ich habe wirklich an überhaupt nichts mehr gedacht, erzählt Peter (Namen der Teilnehmer geändet) hinterher. Das Material erinnert sie an Haut, sagt Katharina. "Man kann es massieren, ausstreichen." 
Dann bespricht die Gruppe jedes Objekt - ganz sachlich, nicht wie bei Freud, wo alles gleich auf seinen Symbolgehalt hin analysiert werden würde. Und ganz ohne positive oder negative Wertung. Erstaunlich, wie viel dabei herauskommt. Und wie entspannt hinterher alle sind. 

Dies Tonobjekt mit "Kratzspuren" (Nagelspuren) formte eine Teilnehmerin. - Bild: Ingrid Bäumer

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Nachteile im Beruf wegen Skin Picking

Skin Picking führt nicht nur oft zu Depressionen und sozialem Rückzug. Es hemmt bei den Betroffenen auch die berufliche Entwicklung. Das berichtete Dr. Susanne Fricke in einem Vortrag auf der Tagung "Von Macken bis Zwängen und darüber hinaus" der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen in Bad Bramstedt. Skin-picker schämen sich so sehr für den Zustand ihrer Haut, dass sie lieber berufliche Herausforderungen vermeiden, bei denen sie im Mittelpunkt stehen müssten. 
Dr. Susanne Fricke - Bild: Ingrid Bäumer

Fricke zitiert eine Studie von Flessner und Woods (1) aus dem Jahr 2006: 12 Prozent der Befragten sagten, sie hätten eine Beförderung wegen des Skin Pickings abgelehnt. 20 Prozent gaben an, sie seien der Arbeit schon mindestens einmal ferngeblieben, weil es ihre desaströs bearbeitete Haut ihnen nicht erlaubt hätte, das Haus zu verlassen - selbst mit Schminke.

(1): Flessner, D. A., & Woods, D. W. (2006). Phenomenological characteristics, social problems, and the economic impact associated with chronic skin picking. Behavior Modification, 30, 944-963.

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